Freitag, März 29, 2024
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Himmlische Gefühle und teuflische Legenden

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Dieser Berg strahlt eine ungeheure Anziehungskraft aus. Nein, die Höhe allein ist es nicht. Schließlich sprechen wir hier „nur“ von 1357 Metern. Ob es daran liegt, dass der Gipfel des Lusen im Nationalpark Bayerischer Wald über eine „Himmelsleiter“ zu erreichen ist? Möglich. Vielleicht auch an der Achterbahn der Gefühle, die sich unterwegs fast automatisch einstellt. Es geht über Felsblöcke, durch Mischwälder, vorbei an alten und toten Bäumen, aber auch an jungem Gehölz, das zu neuem Leben erwacht.

Nationalpark Bayerischer Wald 14
Der Rachelsee ist nach der Eiszeit entstanden. Im Hintergrund des Gipfel des Großen Rachel. Bild: Geiselhart

3 Stunden – 300 Höhenmeter stehen auf dem Programm

In den 1990ern hat hier der Borkenkäfer gewütet und weite Teile des alten Bergfichtenwaldes zunichte gemacht. 2007 hat der Orkan Kyrill nichts als Verwüstung zurückgelassen. Und heute? Man mag es kaum glauben, aber der Neubeginn des Waldes ist unaufhaltsam – und das ganz ohne menschliches Zutun. Das ist die entscheidende Erkenntnis, die beim Aufstieg auf den Lusen so richtig guttut.

Start beim Parkplatz Waldhäuser Ausblick in Neuschönau. Eine etwa dreistündige Tour und die Überwindung von knapp 300 Höhenmetern stehen auf dem Programm. Machbar. Aber auch ziemlich schweißtreibend. Zum Auftakt geht es nur leicht bergauf – gut, um so richtig in Schwung zu kommen. Wie perfekt Natur und Kunst zusammenpassen können, das zeigt sich nach einer knappen Stunde Gehzeit. Der Blick fällt auf ein Schiff, das fast fünf Meter lang und drei Tonnen schwer ist. Von Bayerischen Glasschleifern und -malern wurde es 2003 aus 480 Glasplatten zusammengesetzt. Tschechische Bildhauer legten das Schiff in eine hölzerne Got-teshand. Einige Jahre reiste die gläserne Arche durch die bayerisch-böhmische Grenzregion, um für Frieden, Freude und Toleranz zu werben – bevor sie vor zwölf Jahren an ihrem jetzigen Ha-fen verankert wurde.

Bald ist sie erreicht: Die bereits erwähnte „Himmelsleiter“ – eine steinerne Treppe im Wald, die steil aufwärtsführt. Wirklich steil. Himmlische Gefühle? Noch nicht. Noch überwiegen die Anstrengung und das Ringen nach Luft. Einer Sage zufolge soll das Blockfeld unterhalb des Lusen-Gipfels das Werk des Teufels sein, der alle Schätze dieser Welt zusammengetragen und die Felsentrümmer zum Schutz darauf gehäuft haben soll. Darüber mag man gerne nachdenken, wenn das Gipfelkreuz endlich in Sicht ist. Doch zuvor heißt es erstmal, wieder zu Atem zu kommen. Und dann stellen sich beim berauschenden Blick über den Bayerischen Wald auch die gewünschten himmlischen Gefühle ein.

Vor 50 Jahren wurde der Nationalpark eröffnet

Vor genau 50 Jahren – am 7. Oktober 1970 – wurde der Nationalpark Bayerischer Wald als erster Nationalpark Deutschlands eröffnet. Er erstreckt sich entlang der bayerisch-tschechischen Grenze zwischen Bayerisch Eisenstein im Landkreis Regen und Mauth im Landkreis Freyung-Grafenau. Zusammen mit dem benachbarten Nationalpark Šumava in Tschechien bildet er das größte zusammenhängende Waldschutzgebiet Mitteleuropas. Auf mehr als 24000 Hektar Fläche gilt im Nationalpark Bayerischer Wald der Leitsatz „Natur Natur sein lassen.“ Nach dieser Philosophie dürfen sich die Wälder mit ihren Mooren, Bergbächen und Gipfellagen nach ihren ur-eigenen Gesetzen zu einer grenzenlosen Waldwildnis entwickeln. So wird aus dem Wirt-schaftswald von gestern der Urwald von morgen. Eine große Artenvielfalt ist die Folge. Seltene Tiere wie Luchs, Fischotter, Auerhuhn oder Habichtskauz finden dadurch wieder ein Zuhause. Natürliche Prozesse des Werdens und Vergehens im Waldökosystem werden im Nationalpark zugelassen, indem auch tote oder durch Windwurf gestürzte Bäume im natürlichen Umfeld verbleiben.

Feierabend? Nein. Ein Abstecher zum Tierfreigelände und zum Baumwipfelpfad bei Neu-schönau muss schon noch sein. Der Wanderer wird zum Spaziergänger. Auf bequemen Holz-stegen geht’s getreu dem Motto „Wandern über den Wipfeln“ auf den 44 Meter hohen Baumturm. Hier kommen Familien mit Kinderwagen genauso auf ihre Kosten wie Senioren. Und soll-te man beim Aufstieg auf den Lusen keine Tiere gesehen haben – hier findet man sie garantiert. Mehr als 40 verschiedene Vogel- und Säugetierarten aus der heimischen Tierwelt leben in einem rund 250 Hektar großen Freigelände im arteigenen Tagesrhythmus.

Der „Pausenhof“ war erstes Biohotel Deutschlands

Jetzt ist aber wirklich Zeit, die Beine ein wenig hochzulegen und zu entspannen. Der „Pausnhof“ im nahegelegenen St. Oswald ist dafür eine erste Adresse. Inmitten des Nationalparks Bayerischer Wald haben Sabine, Johann, Katharina und Johanna Simmet das erste Biohotel Deutschlands eröffnet – und wurden dafür vor drei Jahren mit dem ersten Preis des „Tourismus Award Bayerischer Wald“ in der Kategorie „Nachhaltigkeit“ belohnt. Bewirtschaftet wird der Pausnhof schon seit 600 Jahren – auch heute noch weiden hier Pinzgauer Rinder und Wald-schafe, gackern Bio-Legehühner, schnattern Enten und Gänse. Und auf der Streuobstwiese hin-ter dem Gästehaus gedeihen Apfel-, Birnen-, Quitten- und Mispelbäume. In kulinarischer Hinsicht trifft eine solide Küche auf puren Genuss. Statt auf geschmacksverstärkendes Beiwerk schwört man auf Qualität aus der Natur. Im wunderschönen Naturschwimmbad abtauchen und im neugestalteten Saunabereich noch einmal die Erlebnisse der vergangenen Stunden Revue passieren lassen – das rundet einen herrlichen Urlaubstag trefflich ab.

Am nächsten Tag treffen wir Sandra de Graaf am Parkplatz Diensthüttenstraße, der sich auf der Nationalparkstraße zwischen Spiegelau und Neuschönau befindet. Sandra gehört zum Team der insgesamt 25 Rangerinnen und Rangern des Nationalparks. Es geht auf eine vierstündige Rundwanderung zum Rachelsee und wieder zurück. Ein Gewässer, das als eiszeitlicher Karsee entstand, nachdem die Wassermassen des geschmolzenen Rachelgletschers durch einen Wall von Moränen aufgestaut wurden. Die Namensgebung soll der Legende nach auf Rachel – und damit auf des Teufels Großmutter – zurückzuführen sein. Demzufolge sei der Rachelsee auch ein Rachen des Todes, in dessen Tiefe die Verdammten hausen. Aber keine Angst: Gruselig wird’s an diesem Spätsommermorgen garantiert nicht. Dafür umso interessanter und informati-ver. Sandra de Graaf hat viel zu erzählen, schließlich ist sie im Bayerischen Wald aufgewachsen, hat schon 25 Jahre Berufserfahrung – und fühlt sich in dieser Umgebung zuhause wie im hei-mischen Wohnzimmer. „Schaut euch diese mächtige Fichte an. Sie ist mindestens 250 Jahre alt“, zeigt sie nach oben oder erklärt mit fast jugendlicher Begeisterung ihren Zuhörern den Unter-schied zwischen Bergahorn und Spitzahorn.

Dass sie ihren Beruf über alles liebt, das merkt man ihr auf Schritt und Tritt an. Natürlich bleibt der Rangerin auch Schreibtischarbeit nicht erspart, aber den Großteil ihrer Arbeitszeit verbringt sie unter freiem Himmel, dort wo sie sich am wohlsten fühlt – im Sommer wie im Winter. Sie ist Ansprechpartnerin für die Gäste des Nationalparks, gibt auf unterschiedlichen Touren ihr Fachwissen weiter und ist nicht zuletzt für ihr ganz persönliches Gebiet innerhalb des insgesamt 24 000 Hektar großen Nationalparks zuständig. „Oft streife ich allein durch die Wälder, aber das macht mir nichts aus“, sagt Sandra de Graaf. Sie überprüft, säubert und sichert die Wege. Zusammen mit Forschern und ihrem Team von Rangern liegt ihr Augenmerk darauf, dass der Lebensraum vieler Pflanzen und Tiere auch weiterhin erhalten bleibt. Gäste des Nationalparks für den Naturschutz zu sensibilisieren, auch das ihr ein besonderes Anliegen. Eine Aufgabe, die gerade im Jahr 2020, in dem durch Corona sehr viele Leute zum Wandern gebracht wurden, besonders herausfordernd war. Und so können zwischendurch auch mahnende Worte nicht ausbleiben, wenn von allzu forschen Wanderern die im Nationalpark geltenden Wegegebote verletzt werden sollten.

Die Zeit vergeht schnell. Da liegt er, der Rachelsee mit seiner fast unwirklich anmutenden, küh-len Schönheit. Eine Stärkung aus dem Rucksack muss jetzt sein. Der Blick geht nach oben – zum Gipfel des Großen Rachel, der auf 1452 Metern Höhe liegt. „Wieviel Höhenmeter wären das noch?“, so die auf der Hand liegende Frage an Sandra de Graaf. „Schon noch ungefähr 400“, sagt sie mit charmantem Lächeln. Das will gründlich überlegt sein. Aber morgen ist schließlich auch noch ein Tag.

Anreise

Der Nationalpark Bayerischer Wald ist sowohl per Bahn als auch per Auto bequem erreichbar. Mit Auto oder Bus über Deggendorf in Richtung Regen, über Hengersberg in Richtung Grafenau und Freyung sowie über Aicha vorm Wald in Richtung Tittling und Grafenau. Für Anreisende mit der Bahn sind Plattling oder Passau die wichtigen Knotenbahnhöfe. Ab Plattling geht mit den Zügen den Waldbahn weiter in Richtung Zwiesel, Bodenmais, Bayerisch Eisenstein oder Grafenau. Von Passau kommen Gäste mit dem Schnellbus oder der Ilztalbahn über Wald-kirchen und Freyung in Richtung Grafenau zum Nationalpark. Vor Ort sorgt ein ausgeklügeltes Verkehrskonzept dafür, dass man mit öffentlichen Verkehrsmitteln alle wichtigen Orte erreicht. Als Urlauber vieler Gemeinden und Städte ist dieses System sogar kostenlos nutzbar.

Weiter Infos unter www.nationalpark-bayerischer-wald.de

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Hinweis in eigener Sache: Dieser Artikel wurde teilweise von Reiseveranstaltern, Restaurants, Hotels, Fluggesellschaften und/oder Tourismusagenturen unterstützt. Wir legen größten Wert auf unabhängige und neutrale Berichterstattung; daher entsprechen die Meinungen, Eindrücke und Erfahrungen der jeweiligen Autoren ihren persönlichen Ansichten.

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Wilfried Geiselhart
Wilfried Geiselhart
Die Welt der Zahlen, in der Wilfried Geiselhart als Mathematiker zuhause ist, verlässt er immer wieder mal, um die Welt mit ganz anderen Augen zu betrachten. Journalismus ist sein zweites berufliches Standbein. Seit vielen Jahren schreibt er für eine Lokalzeitung in seiner süddeut-schen Heimat. Außergewöhnlichen Reisen gilt seine besondere Leidenschaft – deshalb liegt ihm gerade die Reiseberichterstattung am Herzen.
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