Dieser Beitrag wurde am 23.03.2023 zuletzt aktualisiert.
Schon von weitem grüßt ein meterhoher, bunter Berliner Bär am Schiffsanleger in Spandau, der nur zehn Minuten Fußweg vom Bahnhof entfernt liegt. Ab heute wird die „MS Thurgau Chopin“ für eine Woche mein schwimmendes Urlaubsdomizil sein. Einfach mal die Seele baumeln lassen, heißt es auf dem Boutique-Schiff, das mich und 46 weitere Gäste von Berlin über Hamburg und weitere Städte nach Kiel bringen wird. Dazwischen liegen jede Menge Sehenswürdigkeiten und wahre Wunderwerke der Technik.
Schiff in Grandhotel-Stil
Müßiggang ist angesagt auf einem kleinen Flusskreuzfahrtschiff wie der „MS Thurgau Chopin“, das maximal 80 Passagiere beherbergen kann und wegen der Schleusen und Schiffshebewerke nicht größer sein dürfte. Schon vor Jahren haben Forscher der Rotterdamer Erasmus-Universität festgestellt, dass der bewusste Leerlauf fürs Gehirn nicht nur sehr produktiv, sondern auch lebenswichtig ist und einem Burnout vorbeugen kann.
„Niksen“ (Nichtstun) nennen die Holländer diesen Trend, der keineswegs Langeweile bedeutet. Neben allem süßen Müßiggang und kulinarischem Sterne-Genuss, den Küchenchef Nemanja Tascovic mit seinem Team für uns bereit hält, gibt es auf der 578 Kilometer langen Reise auch viele interessante Ausflugsziele und Informationen.
Das einstige Deilmann-Schiff ist im Grandhotel-Stil konzipiert. 2002 gebaut und 2018 komplett renoviert, beeindruckt der geschmackvoll eingerichtete öffentliche Bereich mit Rezeption, Panorama-Salon und Speisesaal durch Jugendstil-Elemente. Die Treppengeländer sind kunstvoll geschmiedet, die Metalleinfassungen und Leuchten aus reinem Messing, was heute kaum noch bezahlbar wäre.
Zwischen Havel und Himmel
Am Abend nimmt die „MS Thurgau Chopin“ Kurs auf Potsdam – über den Wannsee und an der Pfaueninsel vorbei. Während die Passagiere das erste Mehrgänge-Menü an Bord genießen, werden Havel und Himmel durch einen fantastischen Sonnenuntergang in ein tiefes Orangerot getaucht. Zwei Stunden später legt das Schiff in Brandenburgs Hauptstadt nahe dem Zentrum an. Die Gäste haben die Wahl zwischen Klaviermusik in der Bar oder Nachtleben in Potsdam, wo am nächsten Morgen der erste Ausflug beginnt.
Potsdams Glanz und Gloria
Als Friedrich II. im 18. Jahrhundert seinen Sommersitz Sanssouci (Ohne Sorge) erbauen ließ, hat er wohl im Traum nicht daran gedacht, dass ein Jahrhundert später das kleinste und berühmteste seiner Schlösser Millionen Touristen anziehen und zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannt würde. Die 160.000 Einwohner zählende ehemalige „Soldatenstadt“ ist eingebettet in eine einzigartige Kulturlandschaft des Havellandes. Mehr als drei Jahrhunderte bauten die besten Architekten, Landschaftsplaner und Kunsthandwerker im Auftrag der preußischen Herrscher repräsentative Schlösser und Parkanlagen.
Prunkstück der geschichtsträchtigen Landeshauptstadt ist sicherlich der große Park von Sanssouci mit unzähligen Schlössern, Tempeln, Gärten, Fontänen, Rondellen, einem Chinesischen Teehaus sowie dem auf einem Hügel stehenden Schloss Sanssouci. Für diese riesige Parkanlage mussten mehrere Stadtteile abgerissen werden. Fast ebenso berühmt ist der Neue Garten im Nordosten, in dem u.a. das Schloss Cecilienhof steht. Dort wurde nach dem Zweiten Weltkrieg bei einem Treffen der Alliierten die Aufteilung Deutschlands verhandelt. Das Holländische Viertel und die russische Holzhäuser-Siedlung Alexandrowna, in der bis heute die Nachkommen russischer Chorsänger wohnen, sind ebenfalls sehenswert. Die Leibeigenen hatte der russische Zar seinem Freund Friedrich Wilhelm III. geschenkt.
Durch „Berlins Obstgarten“, wie die fruchtbare Gegend des Havellandes auch genannt wird, in der einst Herrn von Ribbecks Birnbaum (Theodor Fontane) stand, gleitet das Boutique-Schiff über den Plauer See zum Elbe-Havel-Kanal. Die Fahrt führt westwärts unter einigen niedrigen Brücken hindurch, bei denen es auf dem Sonnendeck öfter mal „Kopf einziehen“ heißt. Die Nacht verbringen wir im Städtchen Burg am Elbe-Havel-Kanal, der zusammen mit dem Mittellandkanal und der Havel eine durchgehende Wasserstraße vom Ruhrgebiet über Berlin nach Polen bildet.
Gigantischer Whirlpool
Wer die Doppelsparschleuse Hohenwarthe (18,5 m Höhenunterschied) und das Wasserstraßenkreuz Magdeburg erleben will, muss am nächsten Morgen früh aufstehen. Seit 2003 verbindet das Wasserstraßenkreuz, wo der Mittellandkanal auf einer Trogbrücke die darunter fließende Elbe und das weite Elbtal überquert, die beiden Kanäle. Die Magdeburger Kanalbrücke (918m Länge/32 m Breite) ist nicht nur die größte Trogbrücke der Welt, sie ist auch auch der größte Whirlpool der Welt. Nur durch das sprudelnde Wasser kann der Kanal in kalten Wintern eisfrei gehalten werden.
Futuristisch: Autostadt Wolfsburg
In Calvörde startet der Bus-Ausflug in die Autostadt in Wolfsburg, die durch ihre futuristischen Pavillons und das ZeitHaus der Automobilgeschichte beeindruckt. Wer auf dem Schiff bleibt, kommt dreieinhalb Stunden später ebenfalls direkt in der Parkanlage der VW-Autostadt an und hat dann noch reichlich Zeit für einen Landgang. Ein großes Outlet-Center auf der gegenüber liegenden Seite lädt zum Shoppen ein.
Hundertwasser-Bahnhof in Uelzen
Am nächsten Morgen fahren wir auf dem Elbe-Seitenkanal, der auch „Heide-Suez-Kanal“ genannt wird, weil er fast schnurgerade durch die Lüneburger Heide verläuft, nach Uelzen. Das leise Stampfen der Motoren, das Plätschern der Wellen und die vorbeigleitenden Ufer haben etwas zutiefst Beschauliches. Ein kurzer Foto-Stopp mit dem Bus am Hundertwasser-Bahnhof und es geht weiter in die Salz- und Hansestadt Lüneburg.
Lüneburgs Fluch und Segen
Im 16. Jahrhundert gehörte die malerische Stadt, die im Zweiten Weltkrieg verschont wurde, zu den reichsten Norddeutschlands. Bis heute spiegelt sich das im Stadtbild in unzähligen Gebäuden aus Spätgotik und Renaissance im Stil der Backsteinbaukunst wider. Das schlossähnliche Rathaus, eindrucksvolle Treppengiebel, die Nikolaikirche und der Alte Kran am Fluss Ilmenau sind nur einige der architektonischen Kostbarkeiten. In der Hansestadt ist aber auch die Spaltung zwischen Arm und Reich bis heute unübersehbar. In den Arbeitervierteln über der ehemaligen Saline haben sich Straßen und Gebäude stark abgesenkt, manche Häuser an den Kopfsteinpflaster-Gassen sind beängstigend schief. Das Salz ist für Lüneburg Fluch und Segen zugleich.
Überdimensionierter Fahrstuhl
Spannend wird es gegen Abend noch einmal an Bord: Das Schiffshebewerk Lüneburg-Scharnebeck ist das höchste Deutschlands: In zwei parallelen mit Wasser gefüllten Trögen werden die Schiffe senkrecht um 38 Meter auf das Niveau der Elbe gesenkt. Die eigentliche Senkung dauert nur fünf Minuten, der gesamte Schleusenvorgang um die 20 Minuten – ein einzigartiges Erlebnis, und wir dürfen in diesem überdimensionierten Fahrstuhl mitfahren.
Legendäre Schwebefähre
Am nächsten Tag steht Hamburg auf dem Programm, wo die „MS Thurgau Chopin“ über Nacht liegt, bevor es auf der Elbe, vorbei an Blankeneese, Oevelgönne, Airbus-Werk und Schulauer Fährhaus über die Schleuse Brunsbüttel in den Nord-Ostsee-Kanal geht. Der Kanal (98,6 km lang, bis zu 162 m breit), der in einigen Windungen verläuft, ist die meistbefahrene künstliche Wasserstraße der Welt. Dank dieses Kanals können sich viele Schiffe den langen und wegen der Stürme gefährlichen Umweg über Skagerrak und Kattegat rund um Dänemark herum ersparen. Tagesziel ist Rendsburg, wo die „MS Thurgau Chopin“ unter der legendären Schwebefähre hindurchfährt und in einem kleinen Hafen für die Nacht anlegt. Von dort bis zur Endstation Kiel ist es nicht mehr weit.
Reise-Infos in Kürze
Anreise: Mit dem Zug bis Berlin-Spandau.
Das Schiff: Die „MS Thurgau Chopin“ fährt unter Schweizer Flagge. Sie ist 83 m lang, 9,50 m breit und bietet für 80 Gäste 42 stilvoll eingerichtete Außenkabinen mit Mini-Bar. Bordsprache ist Deutsch, Bordwährung: Euro. Auf dem Oberdeck haben alle Kabinen einen französischen Balkon.
Bordeinrichtung: Panorama-Restaurant, Panorama-Salon mit Bar, Bibliothek, Sonnendeck. Im Restaurant werden internationale Spezialitäten und regionale Speisen zu einer Tischzeit serviert. Zum Abendessen ist gepflegte Kleidung erwünscht. Geraucht werden darf nur auf dem Sonnendeck. Gratis-WLAN nach Verfügbarkeit.
Reisedaten 2023 für „Von der Spree an die Förde“: 01.04. bis 08.04. 8 Tage, ab 1249/Pers. € VP; 04.09. bis 11.09 und 18.09. bis 25.09., 8 Tage ab 1549 € VP/Pers. Getränke- und Ausflugspaket können dazu gebucht werden. Buchbar über https://www.thurgautravel.de/